Rund um Schloß Bodelschwingh

Statt eines Vorwortes beginne ich dieses Mal mit der Erzählung über Erinnerungen und meinem Verständnis über ein Verhältnis und empfehle Euch/Ihnen, auch das Nachwort zu lesen.

Weihnachtsflair 2019

Rund um Schloss Bodelschwingh,

eine Aufschreibung persönlicher Erinnerungen

von Otto Schmidt

Über ein Verhältnis

Ein Verhältnis zu Menschen und Sachen hat man, wenn es sich in einem selbst über der Zeit entwickelt hat. Es kann ein loses, in Teilen auch widersprüchliches, von Kindheit und Zeitgeist geprägtes Verhältnis sein.

Über den Lebenskreis betrachtet, wird dieses Verhältnis in der Kindheit durch Phantasie und Wunschdenken idealisiert sein, dann im Erwachsenenalter weniger Bedeutung haben und im Alter neu bewertet werden.

In diesem Sinne habe ich ein Verhältnis zu den Menschen, den Bewohnern von Schloss Bodelschwingh, der Sozialstruktur ihres Lebens- und Wohnortes, der Geschichte des Hauses, meiner Bindung an die Wohnorte Bodelschwingh, Westerfilde und Dingen.

Eine Aufzählung als Stichpunktesammlung:

In unserer Nachbarschaft hatte ich als Kind besondere Bäume an einem Haus bestaunt: Robinien (auch Schein-Akazien). Frau Schaare, unsere Nachbarin von „Gegenüber“ in der Schloßstraße hatte auf dem Schloss Kochen und Hauswirtschaft gelernt. Die Robinien an ihrem Haus stammten vermutlich aus der Baumschule vom Schloss (der lag zwischen dem Kindergarten Kinderbusch und der Schlossmauer).

Ich kannte Frau Schaare als alte Frau, gekleidet mit einem schwarzen Kleid mit weißem Krägelchen und einer umgebundenen Kochschürze. Aus Erzählungen ihrer Tochter weiß ich, dass in ihrer Ausbildung auch Wissen über „Anstand“ und „Benimm“ vermittelt wurde.

Schloss Bodelschwingh war bis in die 60-er Jahre des vergangenen Jahres ein bedeutender Landwirtschaftsbetrieb und Arbeitgeber vieler Dorfbewohner.

Vom Hof Staupendahl führte ein Fußweg über den Kirchhof zur evangelischen Kirche. Den Weg bin ich gern mit meinem Kinder-Freund Bernd Staupendahl gegangen. Weg und Törchen gibt es heute noch (… und ist als Wegerecht im Grundbuch eingetragen).

Ende der 40-er Jahre: In der ehemaligen Rentei, in der früheren Veranda, in der Parkstraße wohnte ein Ehepaar, Flüchtlinge aus Ostpreußen. Die Frau stopfte Socken für unsere Familie; an den Mann kann ich mich nicht mehr erinnern. Die Wohnung war so kalt, dass Eisblumen auf den Fensterscheiben wuchsen.

Der Zweite Weltkrieg hatte Spuren hinterlassen. Wir Kinder entdeckten einen Stahlhelm der Wehrmacht im Wald gegenüber dem katholischen Friedhof an der Schloßstraße.

In den vorderen Schlosspark (Neue Weide) darf man hineingehen, bis zur Wassermühle, zum Gärtner Kay und zum Schlosstor.

Der Schlossgärtner und Jäger Wilhelm Kay und seine Frau verkauften zur Erntezeit Obst und Gemüse im Schlossgarten (heute Kräutergarten). Dazu hatten sie eine „Bude“, direkt am Eingangstor. Auf einer Tafel stand: „Bitte den Kindern abgezähltes Geld mitgeben.“ Bis ins hohe Alter hatte ich geglaubt, dass die Eheleute den Garten als Zubrot selbst bewirtschafteten und das das Bezahl-Geld ihnen gehörte. Nach der Rede einer der Töchter verkauften sie die Erträge des Gartens im Auftrag der Familie zu Knyphausen. … Was sich Kinder so denken …

Die nächste Generation der Schlossbesitzer vermarktete dann ihre Produkte selbst: Die Schlossherrin betrieb eine Hühnerfarm und belieferte die Kunden persönlich.

Die Feldscheune am Verbindungsweg vom Schloss zur Straße Im Odemsloh war uns Kindern unheimlich. Später geschah hier ein Mord an einem Kind…

Der Verwalter vom Schloss, Herr Eckey, passte auf, das kein „Unberechtigter“ den Schlosshof betrat. Er konnte aber nicht überall zur gleichen Zeit sein.

Carl Reichsfreiherr zu Innhausen und Knyphausen Graf von Bodelschwingh-Plettenberg ist 1958 verstorben. Er wurde auf dem Familienfriedhof am Tempel der Ruhe beerdigt.

Wir Kinder haben den Leichenzug von der evangelischen Schlosskirche und dann zum Friedhof, zum Tempel der Ruhe durch den Zaun am Kinderbusch beobachtet. Anschließend an die Familie und Honoratioren wurde der Tote von Mitgliedern des Johanniter-Ordens begleitet. Sie trugen weite schwarze Mäntel und auf dem Kopf einen Dreispitz. Eine Blaskapelle spielte Trauermusik.

Der Sarg mit dem Verstorbenen ruhte auf einer Lafette und die wurde durch ein schwarz verhülltes Pferd gezogen.

Der Schlosspark mit dem sich anschließenden Wald war mit einem Zaum eingefriedet; der Familienfriedhof mit einer Mauer umgeben. Park und Friedhof waren durch verschließbare Tore gesichert. Durch den Bau der Autobahn A 45 mit der Unterbrechung der Ahorn-Allee zum Friedhof hat sich vieles verändert …

In der Schlossmauer am Teehaus befand sich eine Holztür ohne Fenster. Was war wohl dahinter? Der Osterhase mit einem Vorrat an Eiern? Wer hatte den Schlüssel zu der Tür?

Wann ist das Eis auf der Schloss-Gräfte dick genug zum Schlittschuh laufen? Wenn das Gatter am Weg zur Gräfte offen steht.

Wann durfte auf dem Bodelschwingher Berg Schlitten gefahren werden?

Wenn das Gatter zur Weide an der Schloßstraße offen stand. Heute würde die Fahrt durch die Autobahn A45 unterbrochen.

Schlittenfahren auf dem Bodelschwingher Berg war bei uns Älteren auch sehr beliebt, um Schulmädchen zu treffen. Der Waldsaum auf dem Berg diente dabei als Promenade.

Am Ende der Rodelbahn, weit vor der Hausgräfte, gab es einen Tümpel mit Schilfdickicht. Wer hier hineingefahren war, wurde von anderen gemieden, er stank fürchterlich…

Wer kein zweites Paar Winterschuhe hatte, musste oft einen Tag Pause einlegen, bis die Schuhe wieder trocken waren. Das Stopfen der Schuhe mit alter Tageszeitung lernte sich dann von selbst.

 

Links vom Turm stand ein kleines Häuschen, nur mit einer Tür. Uns Kindern wurde erzählt, dass Kinder dort eingesperrt würden, wenn sie etwas Unrechtes getan hätten. So richtig „zog“ das aber nicht, weil es unglaubwürdig war (viel später versorgte Käptn Blaubeer seine Enkel mit solchen „Räuber-Pistolen“).

Vor dem Zweiten Weltkrieg wohnte der Jäger von Schloss Bodelschwingh im Turm. Der ging nur am Kirmesmontag in die Dorfgemeinde; so erzählten es die Leute.

War der Turm auch Versammlungsort des Kriegervereins?

Der Rede der ehem. Rektorin der Kellerkamp-Grundschule nach ist diese Vermutung berechtigt. Wer weiß mehr darüber?

Der Osterhase versteckte für die Kinder Eier im Schlosspark (Neue Weide), die oft im Kinderbusch (hinter der Schlossmauer) zum zweiten Mal gefunden wurden.

Das Tee- oder Billardhäuschen im englischen Landschaftspark hinter dem Schloss fasziniert Jung und Alt und auch ungebetene Gäste (harmlose oder auch gefährliche). Das Teehaus wurde „abgefackelt“.

Einen „Garagenfund“ gab es auch im Schlossgarten: Ein VW-Käfer. Der stand in einer Wellblechgarage (mit gebogenem Wellblech-Dach) und war nach der Abmeldung wohl vergessen worden. Ich meine zu wissen, wem er gehörte, verrate aber nichts.

Der Kinderbusch und die Kollerwiese, ein Ort der (Sinnen)Freude für jung und alt, aber auch manchmal ein unheimlicher Ort.

Lesen macht schlau: Bodelschwingh hatte mehrere Brauereien, eine davon gehörte zu der  Vorburg von Schloss Bodelschwingh; 1830 wurde in der Chronik der beiden Pfarrer Bäumer (Vater und Sohn) mittelbar mitgeteilt:

Zitat: Neubauten

Der H. Kammerherr Freiherr von Bodelschwingh ließ in diesem Jahr das neue Gebäude bey seinem Hofe erbauen in welchem sich der Pferdestall und die Brauerei befindet.

Warum heißt das Flur(Wald)stück Grutholz in Castrop-Rauxel (Deininghausen) so wie es heißt? Weil die (oder das?) Grut) als Gewürzmischung (mit Port?) Bestandteil des selbst gebrauten Bieres war. Der Wald gehörte zu Schloss Bodelschwingh.

Die Quelle des Bodelschwingher Baches (und auch der Bachlauf zur Schloss-Gräfte) ist „arm dran“, weil „wilde Müll-Kipper“ den Ort verschandeln.

Wie geht es weiter: Wir können das ganze Jahr den neuen Park besuchen, die Sicht auf das Schloss und den englischen Landschaftspark genießen. Wir respektieren die Privatsphäre der Familie zu Knyphausen und ihrer Hofgemeinschaft. Zweimal im Jahr, zu den Veranstaltungen Gartenflair und Weihnachtsflair, haben wir Zutritt zu dem inneren Hof- und Gartenbereich.

Wir können heute aufschreiben, was uns wichtig und wert erscheint und uns mit ein bisschen Glück später daran erinnern.

 

Von Herz zu Herz: Zwei Gedichte und ein Zitat zum Schluss.

Vorfrühling

In dieser Märznacht trat ich spät aus meinem Haus.

Die Straßen waren aufgewühlt von Lenzgeruch und grünem Saatregen.

Winde schlugen an. Durch die verstörte Häusersenkung ging ich weit hinaus

bis zu dem unbedeckten Wall und spürte: meinem Herzen schwoll  ein neuer Takt entgegen.

 

In jedem Lufthauch war ein junges Werden ausgespannt.

Ich lauschte, wie die starken Wirbel mir im Blute rollten.

Schon dehnte sich bereitet Acker. In den Horizonten eingebrannt

war schon die Bläue hoher Morgenstunden, die ins Weite führen sollten.

 

Die Schleusen knirschten. Abenteuer brach aus allen Fernen.

Überm Kanal, den junge Ausfahrtswinde wellten, wuchsen helle Bahnen,

in deren Licht ich trieb. Schicksal stand wartend in umwehten Sternen.

In meinem Herzen lag ein Stürmen wie von aufgerollten Fahnen.

 

Ernst Stadler (*1883 in Colmar, +1914 in Zandvoorde bei Ypern), Weltkriegs_Lyrik

 

… Trotz des Zigarrenrauches roch es bereits nach Frühling. Aus der Ferne war das aufgeregte Rufen von Kindern zu hören, die noch nicht im Bett waren. …

Maarten´t Hart, Die Jakobsleiter

 

So oder so

Die handeln und die dichten,

Das ist der Lebenslauf,

Der eine macht Geschichten,

Der andre schreibt sie auf,

Und der will beide richten;

So schreibt und treibt sich´s fort,

Der Herr wird alles schlichten,

Verloren ist kein Wort.

Joseph von Eichendorff

 

Nachwort zum Text: Rund um Schloss Bodelschwingh

 

Meine Erinnerungen von Schloss Bodelschwingh gründen sich auf

* Erzählungen meiner Mutter, meines ältesten Bruders, der Nachbarn,

* den Gesprächen mit den Bewohnern der Vorburg vom Schloss,

* meinen Eindrücken als Bewohner von Bodelschwingh,

* der Veröffentlichung von Pressmitteilungen,

* dem Sonderdruck Bodelschwingh, Haus – Dorf -Herrschaft von 1964,

* der Bodelschwingher Kirchengeschichte von Adolf Esser,

* der Bodelschwingher Dorfchronik der beiden Pfarrer Bäumer (Vater u. Sohn),

* den Bildern von Schloss und Park/Haus Bodelschwingh u. a. von Friedrich Schopohl jun..

Und jetzt, aktuell:

Das Corona-Virus lässt uns noch nicht los. In der Woche vor Ostern 2020 wird uns das besonders deutlich. Wir alle haben jetzt Zeit gehabt, darüber nachzudenken wie wichtig es ist, miteinander zu leben, miteinander Kontakt zu halten.

Das ist nur eingeschränkt möglich; scheinbare Kleinigkeiten im Miteinander werden zur echten Hürde. Da besinnen wir uns, dass das Handy oder Mobiltelefon, der e-mail-Kontakt (in diesem Sinne) virenfrei ist.

Wir haben also ein Fenster, das wir zu Verwandten, Freunden, Nachbarn weit und ohne Angst aufmachen können!

In unseren Gedanken und Gesprächen spazieren wir miteinander hinaus in unsere kleine Welt -Bodelschwingh und Westerfilde- die uns verbindet.

Viele Themen werden hier nur angerissen, sollen zu Fragen, Nachforschungen, Gesprächen, zum Nachdenken anregen.

So ist dieser Beitrag gemeint: Eine Sicht auf das Schloss Bodelschwingh und seine Bewohner: persönlich, subjektiv, unvollständig, über Jahrzehnte gesammelt, immer respektvoll.

An dieser Stelle sprechen wir vom Heimatverein Bodelschwingh und Westerfilde für die Familie zu Knyphausen den Wunsch aus, dass sie möglichst bald eine Planungs-Sicherheit für ihre diesjährigen Veranstaltungen erhält.

Wir sind in Gedanken bei Ihnen!

Den Lesern und all unseren Freunden wünsche ich: Bitte bleibt gesund.

Karfreitag 2020,

herzlichst, Ihr Otto Schmidt