Vom Bodelschwingher Schützenfest (1)

Einleitung

In den nächsten Wochen, ab dem Wochenende (4. bis 6. Juli) der leider ausfallenden Bodelschwingher Kirmes werden wir wie angekündigt, im Wochenabstand zehn Beiträge auf unsere Internet-Seite einstellen, die Sie/Ihr auf der Startseite unter „Neueste Beiträge“ oder der Rubrik „Geschichtliches, Dies und Das“ finden könnt. Für Geschichtsinteressierte werfen wir dieses Mal den Anker bis auf den Anfang des 19. Jahrhunderts.

Aus heutiger Sicht war da Jahr 1924 für die Heimatblätter der Stadt Castrop und Umgebung sehr fruchtbringend. Der Grund liegt vermutlich darin, dass

  • nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918,
  • dem Ruhrkampf 1920,
  • der französischen Besetzung des Ruhrgebietes 1923
  • die Bürger in und um Castrop das erste Mal inne halten und sich auf ihre moralischen, politischen und kulturellen Werte besinnen konnten.
Otto Schmidt

Friedrich Schopohl war als Lehrer und Rektor der ehemaligen Freusberg (dann Freigrafen) schule in seiner Freizeit als Orts- und Heimatchronist für Bodelschwingh und Westerfilde tätig.

Die Beiträge von Friedrich Schopohl schließen an seine persönliche  Geschichte „Aus meinem Leben“ an, die etwa 1920 endet und die wir auf dieser Seite  am 25.April diesen Jahres veröffentlicht haben.

Er schreibt in den Heimatblättern Dezember 1924, Nr. 12: „Vom Bodelschwingher Schützenfest“. (Das Dorf Bodelschwingh gehörte bis 1889 zum Amt Castrop.) Auch heute, nach fast 100 Jahren, ist sein Bericht über die Bodelschwingher, den Schützenverein und das Dorfleben interessant und lesenswert. Danach, aus der Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg, ist nur eine Zeitung von der Festwoche 1938 erhalten. Um diese Zeit einschätzen zu können, folgt ein Zitat aus der Internet-Seite des Deutschen Schützenmuseums, Stand 18.05.2020:

„Der Deutsche Schützenbund schaltete sich – wie fast alle anderen Sportverbände – 1933/34 in vorauseilendem Gehorsam selbst gleich. Zwar ist in der Folgezeit eine gewisse Renitenz im Verband, vor allem aber bei den Schützenvereinen gegen die NS-Herrschaft spürbar, so dass der Deutsche Schützenbund nach den Olympischen Spielen von 1936 in Berlin zwangsaufgelöst wurde, aber der Sportbetrieb lief unter dem Dach des nationalsozialistischen Deutschen Schützenverbandes bis in die Kriegsjahre weiter.“

In einer anderen Quelle wird berichtet, dass im Zuge der Gleichschaltung ab 1933 die Leitungsstruktur der Vereine nach dem „Führerprinzip“ tiefgreifend verändert wurde.

In Bodelschwingh und Westerfilde wurde auf Betreiben der örtlichen NSDAP, der Vereine und eines Großteils der Bevölkerung im Jahr 1938 eine Festwoche abgehalten. Zielsetzung war die Vorstellung der Gruppen, Vereine und Verbände und deren Leistungsfähigkeit und die Stärkung des Gemeinschafts-Bewusstseins. Die Gruppen wurden in einem Festzug und Veranstaltungen vorgestellt. Auf einigen Bildern sind Bodelschwingher Schützen zu sehen, u. a. erkennbar am einheitlichen Hut und einem „Holzgewehr“. Ob die Schützen sich nach dieser Festwoche noch regelmäßig versammelt haben, ist z. Zt. nicht bekannt. Durch den Zweiten Weltkrieg kam das Vereinsleben des Schützenvereins wahrscheinlich zum Erliegen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Ende der 50er Jahre der größte Teil des Wiederaufbaus im öffentlichen und privaten Raum geschafft war, dachten einige der Bodelschwingher und Westerfilder Bürger über eine Wieder-Gründung des Schützenvereins nach. Dafür setzte sich der Schlossgärtner und Jäger Wilhelm Kai und der Lehrer Fritz Neuhaus ein.

Gastwirtschaft „Tante Lina“, Kreuzung Bodelschwingher Str. / Schloßstr. Anfang der 60-er Jahren. Vorn, links: Schloßgärtner und Jäger Wilhelm Kay, daneben Lehrer und Rektor Fritz Neuhaus. Beide wollten den Schützenverein Bodelschwingh in den 1960er -Jahren neu gründen. Foto: Archiv Heimatverein

Die Reaktion der Bürger auf dieses Vorhaben war wohl nicht tragfähig für das Vorhaben. Immerhin gründete sich 1962 der Schießclub Bodelschwingh e. V.; und das scheint nicht zufällig zu sein.

Zurück zu der Geschichte von Friedrich Schopohl:

Die Insignien (Zeichen) der König*innenwürde (s. u.) sind noch heute erhalten und im Privatbesitz. Die Fahne, die Kette, das Diadem, und ja, auch die Straußenfeder wurden vor Jahren anlässlich einer Bilderausstellung des Heimatvereins ausgestellt.

Den Lesern, unseren Freunden*innen wünsche ich viel Freude beim Lesen und bitte sie, auch weiterhin an Ihre Gesundheit und die Ihrer Nächsten zu denken.

Ihr Otto Schmidt

Vom Bodelschwingher Schützenfest

Der Mensch ist zum Arbeiten geboren wie der Vogel zum Fliegen. Der Mensch strebt (?). In ihm sind Kräfte vorhanden, welche ihn zur Tat treiben, das sind die Triebe. Das Kind sieht die Beschäftigung der Erwachsenen, es will sich ebenso betätigen, und da es in ernster Arbeit und reiflicher Überlegung nichts leisten kann, so ist seine Arbeit „Spiel“.

Der Mensch ist zum Arbeiten geboren wie der Vogel zum Fliegen. Der Mensch strebt (?). In ihm sind Kräfte vorhanden, welche ihn zur Tat treiben, das sind die Triebe. Das Kind sieht die Beschäftigung der Erwachsenen, es will sich ebenso betätigen, und da es in ernster Arbeit und reiflicher Überlegung nichts leisten kann, so ist seine Arbeit „Spiel“.

Friedrich Schopohl

Nur wenige Jahre, da kommt´s anders. Vorbei sind die Kinderspiele, der Ernst des Lebens fordert ernste Arbeit. Tage Wochen, Monate keucht der Mensch unter dem Joche der Arbeit, in der Tretmühle des Lebens; fronen muß er für sich, für die Seinen, für die Allgemeinheit. Trotzdem besitzt er in der Jugend noch überschüssige Kraft, er kann und will sich außer der Berufsarbeit in Sport und Spiel betätigen. Und im Alter, wenn die Glieder ihre Gelenkigkeit eingebüßt, auch dann hascht der Mensch noch nach Spiel und Tanz und Festesfreude. Hin und wieder will er ausspannen, dann und wann mal wieder jung sein und allen Erdenjammer vergessen.

So war es bei den Völkern aller Zeiten und aller Zonen, und die Geschichte unserer Heimat erzählt nicht nur von Arbeit und Kampf, nein auch von Spiel und Tanz und Festgelage für alt und jung. War an der geweihten Stätte bei Hunno heiliger Buche das D(T)ing und die religiöse Feier beendet, dann begann die weltliche, der Schwerttanz der Jugend, das Kampfspiel der Alten zu Fuß und zu Pferde. In späterer Zeit entwickelten sich für den Adel die Ritterspiele, für den Bürger das Armbrustschießen und später das Schützenfest. Das diese in der germanischen Urzeit wurzelten, das beweist für Bodelschwingh der Schafbock im Festzuge des Schützenfestes. Er war das Bild des am Balder-Feste geschlachteten Opfertieres. Vielleicht war auch das uralter Brauch: Die Gutsherrschaft schenkte den Bock. Die alte Königin wusch und schmückte ihn, der neue König bekam ihn als Geschenk, aber er gab das Geschenk weiter an die neue Königin.

Uralter Brauch war es, daß jeder Bodelschwingher Gutsherr bei seiner Verheiratung den Schützen einen neue Fahne schenkte. Die letzte vom Kammerherren zu Inn- und Knyphausen gestiftete Fahne aus dem Jahr 1869 ist zwar sehr schadhaft, aber noch erhalten.

Die Königin war fast immer im Voraus bestimmt, daß junge Mädchen, welches demnächst heiraten wollte. Da war es nötig, daß ihr Bräutigam König wurde, und dahin wurde die Sache auch gedreht. Als es vor etwa 60 Jahren dem Bräutigam nicht gelingen wollte, den Vogel abzuschießen, suchte sich „Narathen Fritz“, ein zu allen aufgelegter Bursche, eine Menge Feldsteine, versteckte sich im Gestrüpp des Wachtelohs, warf den Vogel von der Stange, und König wurde der Bräutigam. Auch die jungen Herren von Bodelschwingh beteiligten sich, und der spätere Graf Karl von B. soll einmal zum Schützenoberst gekommen sein mit der Nachricht: „Schäper, de Vatter hiet mi twäi Daler gaft. Nu wäre ek es Küenink“. Und er wurde es auch.

Wenige Jahre nach Gründung der Zeche Westhausen, welche Fremde ins Dörfchen brachte, gründete man eine Schützengesellschaft. Bisher hatten die Einheimischen auf ihre Art gefeiert. Jetzt wurde es anders. Wie konnte man solch eine Sache ein für allemal in der Hauptsache den Junggesellen des Dorfes überlassen! Was sollte der Schafbock im Festzuge? Das kannte man nicht. Man gab sich auch keine Mühe, das auszuforschen. Fort damit!

Das Jahr 1875 brachte die Gründung der Schützengesellschaft und folgendes Genehmigungsgesuch:

An ein Wohllöbliches

Bürgermeisteramt zu Castrop.

Nachdem in Bodelschwingh der Wunsch rege geworden ist, in diesem Jahr ein Bürgerschützenfest zu feiern, erlauben wir uns, einem Wohllöblichen Bürgermeisteramte nachstehende Statuten vorzulegen.

  • 1. Das Fest, welches wir am 11. und 12. Juli feiern möchten, soll uns erinnern an die glorreichen Taten unserer Väter und Großväter, an die ruhm- und tatreichen Ereignisse der letzten 11 Jahre, deren Mitkämpfer zahlreich in unserer Gemeinde vertreten sind.
  • 2. Wir werden in einem isolierten Grundstücke im freien Felde 5 Minuten vom Dorfe entfernt einen circa 60 Fuß hohe Stange mit einem aus Holz angefertigten Vogel darauf aufrichten, danach schießen, und es soll derjenige, der den Vogel herunter schießt, unser König sein.
  • 3. Beginnen soll das Fest am 10. Juli abends um 6 Uhr mit Trommelschlag und Antreten der Schützen, sodann Ausmarsch zum Schützenplatze und Aufrichten der Vogelstange.
  • 4. Am 11. Juli Nachmittags 3 Uhr Antreten der Schützen im Hofe des Vorstehers Völkmann, sodann Ausmarsch zum Schützenplatz, daselbst bei Konzert und Volksbelustigungen das Vogelschießens beginnt u. abends 7 Uhr beendet sein soll, alsdann Rückzug zum Schützenfeste, und beginnt alsdann der Festball.
  • 5. Das Schießen soll nur aus gezogenen Büchsen geschehen und das Laden von Sachverständigen ausgeführt werden.
  • 6. Am 2. Festtag 12. Juli mittags 3 Uhr Antreten der Schützen, Ausmarsch zum Schützenplatze und Fortsetzung des Schießens bis zum Königsschuß, alsdann Rückmarsch zum Dorfe, feierliche Krönung des Schützenkönigs und hiernach Beginn des Königsballes.
  • 7. Das Fest wird nur in rein patriotischem Sinne gefeiert, wofür die Gesinnung der Bewohner Bodelschwinghs, welche sich alle beteiligen werden, wohl bekannt sein wird.

Indem wir Unterzeichnete ein Wohllöbliches Bürgermeisteramt ganz ergebenst ersuchen, und zu dem Feste, zu welchem wir als Vorstand gewählt sind, die Erlaubnis erteilen zu wollen, zeichnet mit aller

Hochachtung, Bergmann, Oberst

Genehmigungsgesuch der Bodelschwingher Schützengesellschaft, vertreten durch Diedrich Bergmann, an das Bürgermeisteramt Castrop vom Jahr 1875.

Der Festwirt hat während des Balles Bier nur an der Teke zu verabreichen und kostet das Glas 1 1/2 Sgr.

Die Schützengesellschaft kaufte für den König eine silberne Kette mit großem silbernen Kreuz mit aufgelegtem Lorbeerkranz. Inschrift: „Schützengesellschaft Bodelschwingh 1875. Fü die Königin beschaffte man einen silbernen Stirnreifen mit einer Straußenfeder. Es wurde vorgesehen, daß jeder Schützenkönig für die Kette einen Anhänger in Form eines Talerstückes stifte. Für den ersten König wurde er gleich gekauft. Auf der einen Seite zeigt er den preußischen Adler und die Inschrift:

„Dem Schützenkönig 1875.“

Wessel Jahnmöller soll den Vogel abgeschossen haben, und Königin wurde Fräulein Bergmann (heute Wwe. Harras). Ehe das folgende Schützenfest gefeiert wurde, starb seine Majestät Wessel I., und daher fehlt wohl sein Name auf dem Anhänger. Im Privatleben war Wessel I. Baumeister beim Landwirt Völkmannn, und von „Völkems Wessel“ wird neute noch erzählt. Am 11. Juli 1880 war wieder ein Schützenfest. Der glückliche Schütze bekam, als der Vogel fiel, solchen Schrecken, daß er tatsächlich die Flinte ins Korn warf und ausriß. Das half ihm nichts. Ein Trupp Schützen schwärmte aus, fing ihn ein, und er ließ sich jetzt krönen. Als man ihn abendes mit Musik feierlich in seine Wohnung brachte, wandte er sich auf der Haustreppe  noch einmal um  und winkte energisch mit der Hand. Die Musik verstummte. Nun hielt Se. Majestät Ernst I. folgende kurze Ansprache: „Geliebte Schützenbrüder! Ihr könnt mich alle …..!“ Ob er es in Götz von Berlichingen gelesen, oder ob er´s als Junge auf der Gasse der Heimat aufgegriffen? Ich weiß es nicht! Schulte Horneburg winkte, seine Musiker setzten ein, und alles johlte vor Freude. Die Königl. Würde teilte er mit seiner Gemahlin und er stiftete einen Anhänger mit der Inschrift:

vom Schützenkönig Ernst Hilgenstock 1880.

Am 10. Juli 1882 wurde Wilhelm Dorlöchter Schützenkönig, seine Frau Königin. Die Denkmünze an der Königkette hat die Inschrift: Vom Schützenkönig Wilhelm Dorlöchter gewidmet“. Dorlöchter ist verunglückt. Die Königin lebt noch, es ist die Frau Friedrich Disse.

Der folgende Anhänger mit aufgelegtem Lorbeerkranz hat die Inschrift: „Gewidmet vom Schützenkönig August Dühr 1885 bis 1891“. Königin war Fräulein Wilhemine Floer, die jetztige Frau Plämer. Dühr ist 1920 gestorben. 1891 bis 1896 regierten Wilhelm Surmann und Frau. Der Anhänger hat die Inschrift: „Ueb Aug´und Hand fürs Vaterland. Vom Schützenkönig Wilhelm Surmann 1891 – 1896“. Witwe Surmann lebte noch. Der nächste König, Georg Trippe – Königin war seine Frau – stiftete ein Kreuz mit Krone und Lorbeerkranz. Inschrift. „Gewidmet vom Schützenkönig Georg Trippe 1896-1906“. – Im Jahre 1906 war das letzte Schützenfest, und Steiger Karl Koch schoß den Vogel ab. Er und seine Gemahlin regieren bis heute. Wenn die Revolution auch Kronen und Throne zerschmetterte, König Karl in Bodelschwingh ist nicht von ihr belästigt worden.

Sollte die neue Zeit in unserem Dorfe das Schützenfest nicht wieder aufleben lassen – bedauerlich wäre das nicht; denn die letzten Feste waren keine Volksfeste mehr – so wäre es doch an der Zeit, nach dem fünfzigjährigen Bestehen der Schützengesellschaft im Jahre 1925 die königlichen Insignien unter Wahrung des Eigentumsrechts der Gemeinde Bodelschwingh einem Museum zu übergeben.

Ganz reibunslos hat sich die Umstellung des Schützenfestes nach 1875 nicht vollzogen. Im Jahr 1882 fühlten sich die Zugezogenen durch die Einheimischen bei der Vergebung der Ehrenämter zurückgesetzt, und daher veranstalteten sie für denselben Tag ein Sängerfest. Das Schützenfest stand auf Tösmanns Hofe, der Gesangverein baute sein Zelt in etwa 200 Meter Entfernung an der Richterstraße auf. Darunter litten beide Feiern.

Die Bodelschwingher Schützenfeste verliefen in Vorbereitung und Durchführung wie die in der letzten Nummer der Heimatblätter geschilderten Castroper Feste. Die Zahl der Schützen wuchs von Fest zu Fest, diese entwickelten sich immer breitspuriger, die Ausgaben für General, Oberst, Hauptleute, kurz für alle Beförderten, stiegen immer mehr, und dadurch wichen sie immer mehr ab aus dem bescheidenen Rahmen des Volksfestes. Sollte das Schützenfest nicht in einfacher Form neu erstehen, so braucht man ihm keine Träne nachzuweinen.

Unser Nachbarort Westerfilde feierte früher auch sein Schützefest. Das letzte Königspaar, Herr Stratmann und Frl. Schulte-Alef, regieren schon über 30 Jahre, und auch ihr Thron hat 1918 nicht gewackelt. Beide Majestäten erklärten mir, daß ihnen Jahr und Tag des Regierungsantritts nicht mehr bekannt seien.