Lieber Leser, liebe Leserin,
hier folgt nun der zweite und letzte Teil der Aufschreibung aus dem Tage=Buch von Pauline Strotmann, übertragen aus der deutschen Kurrent- in die lateinische Schrift. Ich hoffe, er findet Ihr Interesse und gibt Ihnen einen kleinen Einblick in den Schulalltag der Pauline Strotmann, der gerade einmal gut 100 Jahre zurück liegt.
Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen Otto Schmidt
2. Folge aus dem Tagebuch der Pauline Strotmann
23. Februar 1910
Besser bewahrt als beklagt.
Nach diesem Sprichwort sollte viel gehandelt werden, aber es wird im alltäglichen Leben nicht einmal beachtet. Es kommen häufig viele Unglücke vor. Über viele könnte man das Wort schreiben: „Aufmerksamkeit mangelte“. Es geben entschuldete und unverschuldete Unglücke. Verschuldete Unglücke sind:
Wenn man auf Bürgersteige: Papier, Apfelsinen -, Äpfel-, Pfirsich-, Kartoffel-, Birn(en)schalen und u. a. Schalen hinwirft, und andere darüber fallen, oder ausgleiten. Ebenso ist es bei Treppenstufen und Fluren. Auch sollen weder Schule, Eimer, Töpfe usw. auf die Treppenstufen gestellt werden. Andere Menschen, welche von der Treppe herunter kommen und nichts Böses ahnen, fallen darüber und brechen vielleicht den Arm, das Bein, das Schlüsselbein, das Genick, oder erleiden einen Schädelbruch. Solche Unfälle können den Tod zur Folge haben, aber der Verletzte kann auch nur kleine Verletzungen davon tragen. Es wäre dann ja für einen Menschen das schrecklichste, wenn er sich sagen müsste, daß er dies Unglück verschuldet habe, durch seine Unaufmerksamkeit und Unvorsichtigkeit. Zu den verschuldeten Unfällen gehören auch die selbstverschuldeten. Wenn jemand durch sein eigenes unaufmerksames Wesen auf das Krankenlager geworfen würde, so würde ihm dieses höchst peinlich sein und er sich wohl selbst Vorwürfe machen.
Unverschuldete Unglücke kommen sehr häufig vor, denn ein Bergmann, welcher tief unten in der Grube arbeitet, kann nichts dafür, wenn ein Stein von oben kommt, ihm ein Glied verletzt, oder ihn ganz zerschmettert. Unverschuldete Unglücke sind noch, wenn abends jemand durch einen dunklen Flur und Treppe geht und er strauchelt, kann er sich ein ganz großes Unglück zuziehen.
Aber wenn das Sprichwort, besser bewahrt als beklagt mehr beherzigt würde, kämen sicherlich nicht so viel selbstverschuldete Unglücke vor.
25. Februar 1910
Die alte Wäschefrau.
Die alte Wäschefrau zeigte in allem ihre große Treue. Zuerst war sie ihrem Mann eine treue Gattin und ihren Kindern eine liebe Mutter. als ihr Mann starb, hat sie ihr Mut nicht verlassen, sondern hat im saurem Schweiß in Brot in Ehr und Zucht gegessen.
2. März 1910
Ganz Ägypten
Der Nil ist 5 mal länger als der Rhein. Er durchfließt Ägypten in einem 15 – 20 km breiten, äußerst fruchtbaren Tale und bildet bei seiner Mündung ein breites Delta. Durch große Regengüsse, die alljährlich im Juli am oberen Nil niederfallen(?), schwillt der Nil um diese Zeit so gewaltig an, daß er 3 Monate lang aus seinem Ufern tritt und das Land weit und breit überschwemmt. Wo das Wasser nicht von selbst hinkommen kann, wird es durch Kanäle und Schöpfräder hingeleitet. Ende Oktober verläuft sich das Wasser wieder und läßt einen fetten Schlamm zurück. Der fette Boden wird nun mit Weizen, Mais, Baumwolle, Zuckerrohr usw. bestellt, und wenn es bei uns Weihnachten ist, stehen die Saatfelder in Ägypten bereits in schöner Pracht da.
Die Bewohner heißen Fellachen, ? sie Mohammedaner, Kopten, wenn sie Christen sind. Der Beherrscher Ägyptens führt den Titel Kehdive. Er ist jedoch dem türkischen Sultan tributpflichtig. Seinen Wohnsitz hat er in Kairo.
19. März 1910
Am Sonntag
Indem ich an diesem Tage meinen irdischen Beruf beiseite lege, soll ich an einen anderen Beruf denken. Die Seele soll den Sorgen und Gedanken des Alltagslebens entfliehen. Am Sonnabend holt sich der Arbeiter seinen Lohn, wovon er die künftige Woche leben will. Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es gibt auch einen Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit. Das Brot und Wasser des Lebens reicht dir Gott am Sonntag, darum ist der Sonntag die Perle der Tage, die Kraft der Woche, der Quell der Wüste.
19. März 1910
Die elektrische Taschenlampe
Die elektrische Taschenlampe besteht aus einer Hülse und aus einer Batterie mit 3 kleinen Elementen. Letztere sind durch kleinere Drähte miteinander verbunden.
An den beiden äußeren Elementen sind kleine Messingstreifen befestigt. Der eine ist lang und steht schräg, der kürzere steht fast senkrecht. In der Hülse ist eine kleine Osrambirne angebracht, welche auf dem schrägen Messingstreifen steht. An der oberen Seite der Hülse ist ein Drücker. Drücken wir auf diesen, so wird Elektrizität erzeugt und die Osrambirne gibt einen hellen Schein von sich. Damit letztere aber noch heller leuchten kann, hat man über der Osrambirne ein Vergrößerungsglas* angebracht.
* Das Vergrößerungsglas (die Linse).
21. März 1910
Liebe Großmutter!
Der schöne Tag meiner Confirmation, auf den ich mich schon solange gefreut hatte, ist jetzt verflossen, aber er wird mir ewig unvergeßlich sein. Um 1/2 10 Uhr versammelten wir uns im Confirmatenzimmer, und um 10 Uhr gingen wir in die Kirche. Unser Herr Pastor hat uns ernstlich ermahnt und gesagt, daß unser Heiland an diesem Tage besonders uns die Frage stellt: „Wo gehst Du hin?“ Aber er hat uns auch darauf hingewiesen, daß wir selbstständig sein sollen, wo wir nicht mehr unter elterlicher Aufsicht und auch der Schule entflohen(?) sind.
Autor: Otto Schmidt