Der Jäger Louis (8)

Aus „Heimatblätter für Castrop und Umgegend“, Nr. 7, Juli 1924

Von Rektor Schopohl Bodelschwingh

Der verstorbene Graf Karl von Bodelschwingh hatte einen Jäger. Louis von der Horst hieß er. Aber das wußten wohl nur der Graf und sein Rentmeister, allgemein bekannt war er nur als Jäger Louis oder der alte Louis. Seine Heimat lag am Niederrhein, und er sprach ein breites Plattdeutsch, so daß man ihn allgemein für einen Holländer hielt. Er war von kurz gedrungener Gestalt und hatte einen langen Vollbart. Sein ganzes Tun und Treiben drehte sich um Wald und Wild, um Hunde und Flinten. Wer nicht gut schießen konnte, der war bei ihm ein dummer Junge, auch wenn er von hohem Adel und Würdenträger war.

Louis war des Grafen treuester Diener, wenn er auch niemals eine Verbeugung machte, niemals mit demütiger Gebärde eine Bitte äußerte, dagegen recht oft gegen seinen Herrn die ausgewählteste Grobheit an den Tag legte. Auch mit ihm redete er nur Platt, auch ihn redete er nur mit Du an. Das stammte vielleicht aus der Jugendzeit des Grafen.

Einst begegnet der Graf dem Jäger und fragt: „Wohin, Louis?“ – „Wao mi de nas hen stäiht!“ sagt Louis und geht ruhig seines Weges weiter. Der Graf fragt nicht weiter; denn er hätte keine andere Antwort erhalten.

Beide gingen einst in Riepers Berge (Castrop, nahe Grutholz) durchs Gebüsch. Louis ging stets mit angespannten Hähnen, und da geht plötzlich ein Schuß los. Entrüstet sagt der Graf: „Da hättest du mich beinahe erschossen“. – „Na“, meint Louis, „dat wäör jav nit sau slimm. Dann wäör ne guede Saot an der Erde, un du wärörst von der Quälerigge af“.

Einst hat Louis einen Bock ausgekundschaftet und sagt abends zum Grafen: „Du kannst morgen fröh en Buk schüten“. Der Graf ist bereit und am anderen Morgen bringt Louis den Grafen auf den Anstand. Der Bock erscheint, aber er steht dem Grafen nicht gut genug, und er wartet und wartet. Plötzlich stört den Bock etwas, er springt ab. Da stürmt Louis heran, kirschrot vor Zorn, und schreit: „Du dumme Kerl, worüm hast du nich schoten?“ – Der Bock stand mir nicht nach Wunsch, er sollte sich noch ein wenig wenden!“ – „Gemäß“, sagt Louis, „de Bück sall kommen, stellen sik för di hen un seggen: „Gnä Här, wellt se nu so gut sin und schüten mi dod? Ne, so dumm sind de Bück nich, aowwer du büst en dummen Kerl“. Dann verschwindet er in den Wald.

Einst war ein Herzog auf Bodelschwingh zu Besuch, der gern jagte und einen guten Trunk liebte. Dieser ging auch einst zur Jagd. Louis war sein Begleiter und trug gegen den Durst des hohen Herrn eine Flasche Wein in der Jagdtasche. Es dauert nicht lange, da fordert der Herzog die Flasche. Louis zieht sie hervor, entkorkt sie und reicht sie dem hohen Herrn mit dem Trinkspruch: „Da sup!“ Der entrüstet sich darüber und schimpft. Louis sagt in aller Ruhe: „Na, wenn du nich wost, dann supe ek se ut“. Gesagt – getan. Er trinkt die Flasche in einem Zuge aus, wischt sich den Mund ab und steckt die leere Flasche in aller Seelenruhe wieder in die Tasche.

Der Herr Regierungspräsident war einmal zur Jagd hier. Dieser sehr liebenswürdige Herr verabschiedet sich auf der Brücke von den Damen des Hauses. Louis wartet und wartet. Endlich geht er hin, faßt den hohen Herrn am Rockzipfel und sagt: „Nu es genaug, de Fraulü sind hüt Aobend nau alle hier, un dau kannst de nau lange genog met küren. De Hasen un de Bück de wacht aowwer nich“.

Louis fährt mit dem Grafen in die Jagd. Von weitem sieht er, wie eine Kette Rebhühner dicht am Wege in ein kleines Runkelstück läuft. Als sie neben dem Stück sind, schnobert Louis wie ein Hund mit der Nase und sagt: „Verstaih, hier sind Hohner.“ Der Graf antwortet: „Unsinn, in den paar Runkeln liegen keine Hühner“. „Verstaih, hier sind Hohner, stieg af“. Louis steigt ab, macht sich schußbereit, und der Graf ist überrascht und fehlt. Louis schießt zwei Stück herunter. Dann brummt er: „Verstaih, ek he di dat all dusendmaol sagt, un du begripst et doch nit. Du sast op en Hohn schüten, aowwer du meinst, du mögst ümmer op den Hopen schüten“. der Graf sagte: „Louis, daß du ein guter Jäger bist, das weiß ich lange, aber daß du eine Hundenase hast, das weiß ich erst seit heute!“

Einmal hätte der Jähzorn den eigentümlichen Burschen fast zu schlimmer Tat verleitet. Er hatte eine Füchsin gefangen und hielt sie im Zwinger. Das Tier wurde heiß und er wollte es decken lassen. Dazu brachte er sie angekettet in Riepes Berg. An demselben Tage streift auch der Kammerherr durch den Berg. Er sieht den Fuchs und – seine große lange Flinte schießt auf ihn das Schrot. Louis‘ Füchsin war tot. – Der Kammerherr läßt das dem Louis sagen, und da gerät dieser in sinnlose Wut. Schimpfend und tobend kommt er nach Schoß Dorloh, sucht den Kammerherrn, um ihn zu erschießen. Verwalter und Diener stellen sich ihm entgegen, aber der Rasende ist nicht zu beruhigen. „Ek schüte ne dod!“ brüllt er. Da kommt die gnädige Frau, und ihr gelingt es endlich, den Rasenden zu beruhigen. Da weint er plötzlich wie ein Kind und sagt: „Da Minettke, hest da de Flint! Beholl se. Wenn he mi süs hüt noch enttegen kömmt, schüte ek no doch nao dod.“ Dann ging er in Riepers Berg und betrauerte seinen Fuchs.

Der verstorbene Kammerherr zu Inn- und Knyphausen, des Grafen Schwiegersohn, war ein sehr leutseliger Herr, der an Freud und Leid seiner Leute stets regen Anteil nahm. Aber mit Louis stand er nicht so gut, weil er kein sehr guter Schütze war. Er zählte bei diesem eben zu den „dummen Jungen“. Auf der Hochzeit seines Kutschers hielt der Kammerherr eine kleine Ansprache. Die Gesellschaft um Louis drängt diesen nun, er soll auch eine Rede halten, und Louis, schon halb im Tran, erhebt sich, klopft an sein Glas und sagt: „Mine Härns! – Mine Härns! – Mine Härns!“. Weiter kommt er nicht, und über das Gesicht des Kammerherrn zieht ein kleiner Zug des Lachens. Da brüllt Louis los: „Du dumme Jung, brukst nich to lachen! Du büst mi noch en Daler schüllig füör en Voß!“ Sofort greift der Kammerherr in die Tasche, schiebt 3 Mark über den Tisch und entschuldigt sich, daß er die Sache vergessen hat. Da sagt der Louis: „Beholl dinen Daler, ek he ne nich nödig“, verläßt den Saal, setzt sich in die Wirtsstube und trinkt sich einen gehörigen Rausch an.

1892 ging dieser Waldmensch, der Schrecken der Dorfjugend in die ewigen Jagdgründe.