Tage=Buch der Pauline Strotmann

Auszug aus dem Tage=Buch von Pauline Strotmann, übertragen aus der deutschen Kurrent-Schrift in die lateinische Schrift und ergänzt durch zeitgenössische Beschreibungen und Zeichnungen.

Bei dem Tagebuch handelt es sich um ein Schreib- und Übungsbuch, das unserem Heimatverein gespendet wurde. Auf der ersten Seite ist das Kaiserpaar Wilhelm (II) und Victoria abgebildet. Das Buch gehörte Pauline Strotmann. In dem Buch ist ihr Geburtsdatum vermerkt: 4. Januar 1896. Der erste Eintrag ist vom 17. Februar, der letzte Eintrag vom 23. März. 1910 In diesem Jahr ist sie vermutlich 14 Jahre alt und besucht die erste (heute 8. ) Klasse der evangelischen Volksschule in Bodelschwingh in der Richterstraße (Flurstück „Welsche Äcker“). Ihr Stundenplan ist im nächsten Bild zu sehen. Mit ihren Eltern wohnt sie in der Bermesdicker Straße. (früher Vöde). Pauline schreibt mit Stahlfeder und Tinte in Deutscher Steilschrift, vermutlich Kurrent. In diesem Heft sind auch Schreibübungen in lateinischer Schrift enthalten.

Unterrichtet wurden in 30 Wochenstunden die Fächer:

Montag: Bibl(ische) Gesch(ichte), Rechnen, Aufsatz, Zeichnen, Naturgesch(ichte)[Biologie], Singen.
Dienstag: Kathech(ismus), Raumlehre, Lesen, Handarb(eit), Geographie, Geschichte.
Mittwoch: Sprachlehre, Rechnen,
Donnerstag: Bibl(ische) Gesch(ichte), Rechnen, Aufsatz, Zeichnen, Naturlehre, Singen.
Freitag: Bibellesen, Raumlehre, Lesen, Handarb(eit), Geographie, Geschichte,
Samstag: Sprachlehre, Naturgesch(ichte), Schreiben

Das Fach Naturlehre fand ihr Lehrer wohl besonders interessant. Deshalb beginnt unsere kleine Reihe mit einigen Niederschriften (5) von Pauline über die Elektrizität, ausgehend von einem Versuch des Lehrers.
Die heute nicht mehr bekannten Begriffe werden am Schluss des jeweiligen Textes erklärt.

Pauline Strotmann
Die Handschrift von Pauline Strotmann ist sehr schön und gut lesbar. Das soll mit den Bildern 3 und 4, der Kopie des Originaltextes, gezeigt und gewürdigt werden.

Ein Elektrophor ist eine Form von historischer Influenzmaschine und dient zur Trennung elektrischer Ladungen und zur Erzeugung hoher elektrischer Spannungen mit Hilfe der Influenz. Die Bezeichnung Elektrophor leitet sich vom griechischen elektron = Bernstein (als Prototyp des Trägers von Reibungselektrizität) und pherein = tragen ab.
Quelle: Wikipedia, August 2019

Guttapercha-Papier: Guttapercha ist ein Produkt ähnlich dem Kautschuk und wird aus dem Saft bestimmter Bäume gewonnen. Es wurde als Isoliermittel in der Elektrotechnik und für die Herstellung von Verbänden in der medizinischen Versorgung verwendet.

26.9.1910
In der Luft ist viel Elektrizität enthalten. An heißen Tagen im Sommer sammelt sich die Elektrizität in den Wolken an. Es sind nun zwei Wolken mit verschiedener Elektrizität gefüllt und sich nahe genug gekommen, so springt der elektrische funke von der einen Wolke anderen über. Das ist der Blitz, welchen wir dann gleich sehen.

Den Knall, welchen wir Donner nennen, hören wir erst etwas später, denn in 3 Sekunden durchläuft der Schall 1 Kilometer. Um vor dem Blitz geschützt zu sein, hat man auf den Häusern Blitzableiter anbringen lassen, dieser besteht aus einer oder mehreren Eisenstangen mit vergoldeten Spitzen, welche mit Drähten verbunden sind. Die Drähte werden über das Dach an dem Gebäude herunter bis in die Erde geleitet, wo eine Platte aus Kupfer hergestellt liegt, welche den Blitz verteilt. Diese wichtige Erfindung hat ein Amerikaner, namens Benjamin Franklin gemacht, als er einen Drachen mit eiserner Spitze in die Luft fliegen ließ.

… in 3 Sekunden durchläuft der Schall 1 Kilometer:
Die Schallgeschwindigkeit in Luft beträgt etwa 330 Meter je Sekunde. Sie ist abhängig von Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchte.

28.2.1910
Der galvanische Strom
Wir haben heute den galvanischen Strom kennen gelernt. Denselben hat ein italienischer Arzt namens Galvani zuerst entdeckt, nämlich, daß in Metallen Elektrizität schlummert, welche dann wachgerufen wird, wenn zwei verschiedene Metalle miteinander verbunden werden. Es wurde uns zunächst ein elektrisches Element gezeigt, aus einem Glas, einem Zinkzylinder, einem Kohlenkolben und aus Salmiaksäure bestand. Werden zwei Pole, Kohlenpol und Zinkpol durch einen Kupferdraht verbunden, so ist die Elektrizität da.

5.3.1910
Das Elektrisieren
In der heutigen Naturkundestunde sahen wir zwei Elemente oder eine Batterie. Das eine Element war ein Trockenelement, und das andere ein nasses. Die elektrischen Elemente wurden gegenseitig durch Kupferdrähte verbunden und dann mit dem Induktionsapparat verbunden, an welchem zwei Hanteln befestigt waren. Wir durften die Hanteln in die Hand nehmen und wir merkten, daß der elektrische Strom sehr stark war. Diese Tätigkeit nennt man elektrisieren. Besteht aber die Batterie aus mehreren Elementen, so können mehrere Kinder den Strom durch ihren Körper gehen (laufen) lassen, indem sie sich die Hände reichen und die äußeren die Hanteln festhalten. Das Elektrisieren hat mir große Freude gemacht und ist mir gut bekommen.

10.3.1010
Der Elektromagnet
In der Naturlehrestunde wurde uns an diesem Nachmittag ein Hufeisenmagnet gezeigt. Die Anziehungskraft, welche der Magnet zeigt, wenn wir anderes Eisen in seine Nähe bringen, heißt Magnetismus. Dann wurde uns ein hufeisenförmiges Eisen gezeigt, welches aus weichem Eisen gearbeitet war. Dieses war mit umsponnenen Kupferdraht umwickelt. Der galvanische Strom wurde durch das Eisen und durch den Draht geleitet und machte das Eisen magnetisch. Dieses Eisen heißt Elektromagnet.
In der Korrektur schreibt dazu der Lehrer:
Das angezogene Stückchen Eisen nennen wir Anker. Ist letzteres an einer stählernen Feder befestigt, so wird er von dem Elektromagneten abwechselnd angezogen und abgestoßen.
Anmerkung:
Durch den Klingelknopf wird der Stromkreis geschlossen. Sobald der Anker von dem Magneten angezogen ist, muss der Stromkreis unterbrochen werden. Das besorgt der Wagnersche Hammer, dessen Unterbrecher mit dem Anker fest verbunden ist. In der Ruhelage ist der Stromkreis geschlossen und der Anker wird wieder angezogen…

12.3.1910
Die elektrische Schelle
Wollen wir eine elektrische Schelle anlegen, so müssen wir zunächst ein Element, Kupferdraht, eine Schelle, einen Druckknopf und Klammern kaufen. Das Element muß an einen geschützten Platz gestellt werden. Kleine wollen z. B. das Element unten in den Flur stellen, die Schelle im 3. Stockwerk anlegen und der Druckknopf soll an einer Wand des Wohnzimmers gefestigt werden. ? der Druckknopf, welcher zwei Plättchen in sich verborgen hält, ist von einer Hülle umgeben, damit die Plättchen nicht beschädigt werden (von den Plättchen aus führen zwei Drähte zu der Schelle hin). An diesen Plättchen sind zwei Drähte befestigt. Der eine führt zur Schelle, und der andere wird von dem Element nach dem Plättchen zurück geleitet. Der Elektromagnet wird von dem Draht berührt und das Hämmerchen schlägt schnell an die Schelle. Drücken wir auf den Druckknopf, dann hat es geschellt.
Der Lehrer schreibt eine Korrektur mit Bleistift zwischen die Zeilen, die schlecht lesbar ist. Bei der Zeichnung ist zu vermuten, dass Pauline sie nach einer Tafelvorlage angefertigt hat.

Lehrbuch der Physik, Fünfte Auflage, Konrad Fuß und Georg Hensold,
Freiburg im Breisgau, Herdersche Verlagshandlung, 1903.

Autor: Otto Schmidt