Strontianit-Bergbau im Münsterland

Der Chronist: Otto Schmidt

Vorwort der Redaktion

Unsere monatlichen Zusammenkünfte können wegen der besonderen Umstände bedauerlicherweise zur Zeit nicht stattfinden. Dank unseres fleißigen Chronisten müssen wir deshalb zum Glück aber nicht auf interessante Geschichten verzichten.

Otto Schmidt lädt Sie herzlich ein zu seinem Vortrag mit dem Titel

Der Strontianit-Bergbau im Münsterland



Inhalt:

Anmerkung: Die umfangreiche Dokumentation ist nach Themen untergliedert, die auch per Klick einzeln angesteuert werden können. Mit „Zurück zum Anfang“ gelangen Sie am Ende immer wieder zurück zu dieser Inhaltsangabe.

Das Mineral Strontianit und das Element Strontium

Ein Auszug aus der Wikipedia-Seite, Stand 13.Mai 2013-05-13:

Strontianit ist ein eher selten vorkommendes Mineral der Mineralklasse der „Carbonate und Nitrate“ (ehemals Carbonate, Nitrate und Borate). Es kristallisiert im orthorhombischen Kristallsystem mit der Zusammensetzung Sr[CO3], ist also chemisch gesehen ein Strontiumcarbonat.

Strontianit entwickelt meist prismatische bis nadelige Kristalle und ähnlich dem verwandten Aragonit durch zyklische Drillingsbildung auch pseudohexagonale Prismen aus. Daneben kommen aber auch büschelige bis kugelige, faserige oder massige bis erdige Aggregate vor. Auf den Oberflächen unverletzter Kristalle zeigt sich ein glasähnlicher Glanz, Bruchflächen schimmern dagegen harz- oder fettähnlich.

In reiner Form ist Strontianit farblos und durchsichtig. Er kann allerdings durch vielfache Lichtbrechung aufgrund multikristalliner Ausbildung weiß erscheinen und durch Fremdbeimengungen eine graue, braune, grünliche, gelbliche oder rötliche Farbe annehmen. Seine Strichfarbe ist allerdings immer weiß.

Strontianit ist in Salzsäure (HCI) und Salpetersäure (HNO3) unter brausender Abgabe von Kohlenstoffdioxid (C02) löslich. Wird die entstandene Lösung verdampft und der Rückstand mit Spiritus übergossen, flammt dieser hellrot auf.

Vor dem Lötrohr bläht sich Strontianit glühend auf, färbt die Flamme intensiv karminrot und nimmt schließlich eine blumenkohlähnliche Form an.
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Strontianit und seine Verwendung

Strontianit ist ein Mineral, das aus Strontiumkarbonat SrCO3, sowie geringen Anteilen an Calciumkarbonat besteht. Das Farbspektrum reicht von farblos bis grau, grünlich, gelblich bis leicht rötlich. Strontianit bildet häufig nadelförmige Kristalle, die oft zu Büscheln verwachsen sind, prismatische Einzelkristalle treten seltener auf. Früher wurde Strontianit u.a. als Katalysator bei der Zuckerherstellung verwendet, dann jedoch durch das billigere Coelestin abgelöst.
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Strontium, Eigenschaften und Verwendung

Strontium(Sr) hat eine mittl. rel. Atommasse von 87,62. Im Periodensystem steht des in der 5. Periode mit Rubidium (Rb).

Physikalische Eigenschaften: Es ist ein silberweißes, sehr unedles Leichtmetall, Dichte 2,6 g/cm3, Fp. 770°C.

Chemische Eigenschaften: Sehr reaktionsfähig, es geht an feuchter Luft schnell in Stronitumhydroxid Sr(OH2) über, die Sr-Verbindungen sind denen des Calciums und Bariums ähnlich.

In der Feuerwerksindustrie findet es Verwendung als Farbgeber (hellrot). Industriell wird Strontium zur Reinigung von elektrolytisch gewonnenem Zink, für Ferritmagnete und als Röntgenstrahlen-Absorber in Fernsehröhren verwendet. In der Autoindustrie wird Strontiurn als Legierungszusatz für Aluminiumlegierungen, z. B. zur Herstellung von Felgen und Leicht- Bauteilen (Mercedes, Audi) genutzt. In homöopathischen Heilmitteln ist Strontium – Carbonicum bei Anwendungen gegen Arthrose und Zerebralsklerose sowie Knochenerkrankungen enthalten.

Als radioaktives Isotop wird Strontium, Sr90, als Strahlquelle bei der Behandlung von Hauttumor (z. B. Uni Münster, Strahlentherapie) verwendet. Nach einer Atombombenexplosion entsteht Strontium Sr90, ein radioaktives Zwischenprodukt mit sehr langer Halbwertszeit von 28 Jahren. Es wird z. 8. über kontaminiertes Obst und Gemüse oder Milchprodukte aufgenommen und lagert sich u. a. in das Knochenmark ein (Calcium-Stellvertreter).
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Die Ursprünge des fast vergessenen Strontianit-Bergbaus im Münsterland

Nach Kraul (Gelsenkirchen), Mineralien-Atlas (http://www.mineralienatlas.de/?l424)
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Die Geologie

Vorweg sei bemerkt, dass die Entstehung dieser Lagerstätte, insbesondere die Herkunft für die Versorgung der tektonischen Spalten mit strontium-führenden Lösungen, bis heute nicht eindeutig geklärt ist.

Die Entstehung der Ganglagerstätte begann vor ca. 60 Millionen Jahren, an der Wende von der Kreide- zum Tertiär-Zeitalter. Schwache Gebirgsbewegungen deformierten die münsterländischen Oberkreide-Mergel. Durch Hebungen und Zerrungen entstanden tektonische Spalten und Risse, die späteren Gangspalten. Lösungen, entweder aus Strontium haltigen Sohlen, die im Süden der Lagerstätte quellen, oder aber aus erzleeren aszendenten Thermen, drangen in die tektonischen Spalten und Risse ein und es kam zu Gangausfüllungen mit Mineralien, die hauptsächlich aus derbem Calcit und Strontianit bestehen. Hohlräume innerhalb der Gänge sowie teilweise im Nebengestein, waren mit schönen Strontianit und Calcitkristallen ausgekleidet, wobei die Strontianitkristalle größtenteils in büscheliger Ausbildung, eher selten als prismatische Kristalle ausgebildet waren. Auf Calcit aufgewachsene Strontianitbüschel über 20 cm Höhe waren keine Seltenheit. Als hauptsächliche Begleitminerale sind Pyrit und Markasit zu nennen. Diese Vorkommen bildeten, bisher einzigartig in der ganzen Welt, die Grundlage eines umfangreichen, ausschließlich auf Strontianit gerichteten Bergbaus.
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Die Geschichte bis hin zur Neuzeit

Strontianit, wurde 1787 in Schottland nahe dem Ort Strontian entdeckt und nach diesem Ort benannt. Im Winter des Jahres 1839/40 wurde Strontianit zwischen Hamm und Walstedde von Herrn H. Tross im Steinbruch auf dem Herrensteinberg entdeckt und durch Dr. Haedenkamp sowie den Apothekern vom Berg und Redicker analysiert und als Strontianit erkannt. Da es zu diesem Zeitpunkt noch keine industrielle Nutzung von Strontianit gab, wurde dieser, nur begrenzt und in kleinen Mengen in oberflächennahen Schürfungen abgebaut und in pharmazeutischen Laboratorien zu Strontiumnitrat und Strontiumchlorid verarbeitet und an Drogisten abgesetzt. Das änderte sich erst mit dem Einsatz von Strontiumhydroxyd bei der Erzeugung von Zucker. Dieses Verfahren war am 24 Juli 1849 von Dubrunfaux und Leplay in Frankreich patentiert und von Max und dessen Sohn Dr. Emil Fleischer für die Dessauer Aktien-Zucker-Raffinerie, Dessau, in die großtechnische Praxis übertragen worden.

Strontianit, nach dem preussischen Berggesetz ein freies Mineral.
Damit war die Bergbehörde nur die sicherheitstechnische Überwachung der Grubenbaue zuständig. Das Verfügungsrecht für das Mineral stand dem Grundbesitzer zu. Die sogenannten Dr. H. Reichardtschen Gruben, Drensteinfurt, ein Zweig der Dessauer Aktien-Zucker-Raffinerie, schlossen in großem Umfange Aufsuchungs- und Gewinnungsverträge mit den Grundeigentümern, hauptsächlich in der Umgebung von Drensteinfurt ab und nahmen in großem Umfang und hoher Intensität den Betrieb kleiner und größerer Tagebaue und Schachtanlagen auf. So wurden im Jahre 1872 die reichen Tiefbaugruben Bertha und Maria in der Bauernschaft Rieth bei Drensteinfurt in Betrieb genommen.

Daraufhin begann ein regelrechtes Rennen auf dieses nun begehrte Mineral. Viele größere und kleinere Gesellschaften, Einzelunternehmer, freie Strontianitgräber und Eigenlöhner, kleine Bauern und große Grundbesitzer begannen mit Schürf- und Gewinnungstätigkeiten auf den Strontianit, der hier “Strunz“ genannt wurde. Durch die Zuwanderung von Bergarbeitern und Arbeitsuchenden stieg in der Zeit von 1877 bis 1884 die Einwohnerzahl sprunghaft an. Diese Bergleute kamen aus der Umgebung von Aachen, aus der Eifel, dem Rheinland, dem Westerwald, dem Siegerland, aus Thüringen und Sachsen und aus Italien. Unzählige Schurfgräben, Tagebaue, Gruben und Schächte entstanden. Um hier nur einige zu nennen: Glückauf, Wilhelm, Heinrich, Maria, Anna, Bertha, Elise, Christiansfreude, Germania, Goldgrube, Gottvertrauen, Hoffnung, Himmelsberg, Hohenzollern, Mondschein, Vorsicht, Wilhelminenglück, Arthur, Alwine, Bernhard, Ulrich, Höckelmann, Sophia, Johanna, Mathilde und Wickensack (geschlossen 1945). Insgesamt werden es bis 1945 über 700 Betriebe kleinsten bis größeren Ausmaßes gewesen sein, die auf etwa 100 mehr oder minder abbauwürdigen Gängen gearbeitet haben. Abgebaut wurde der Strontianit nahe der Oberfläche im Tagebau, hauptsächlich aber im Grubenbetrieb mit Tiefen von 6 – 50 Meter. Nur wenige Gruben (etwa 15) bauten Strontianit in größeren Tiefen von 51 – 115 Meter ab.

Der Abbau des Strontianits auf den Gruben gestaltete sich recht schwierig: Die Gänge hatten durchweg steiles Einfallen, die Hauptstreichrichtung lag in der Regel bei NW-SO und NO-SW. Durch geologisch starke Absätzigkeit des Gebirges und häufig wechselnder Mächtigkeit der Gänge, sowie starke Wasserzuflüsse im klüftigen Mergel wurde die Arbeit ungemein erschwert. Nach starken Regenfällen stieg der übliche Wasserzufluss um ein Vielfaches. Kleinere Gruben, die keine entsprechenden Pumpen zur Verfügung hatten „ersoffen“ und konnten teilweise monatelang nicht wieder in Betrieb genommen werden. Der Abbau und Vortrieb erfolgte von Hand. Sprengarbeit wurde mit Handbohrern und Dynamit durchgeführt. Als Geleucht dienten Karbidlampen.Die Bewetterung erfolgte durch Lichtschächte und Handventilatoren. Durch Grubengase, die aus den tiefer gelegenen Karbonschichten durch den klüftigen Mergel aufstiegen, kam es sogar zu einigen Entflammungen. Das Haufwerk wurde nach über Tage geschafft, auf kleineren Gruben durch Handhaspel, auf größeren durch Schachtförderung. Der Strontianit wurde zur weiteren Verwendung durch Abschlagen des Nebengesteins getrennt und anschließend gewaschen.

Als es 1884 großtechnisch gelang, aus Coelestin (SrSO4) reines Strontianit herzustellen, kam es zu einem drastischen Verfall der Verkaufspreise. Coelestin kommt weltweit häufiger und in mächtigeren Lagerstätten vor und konnte z.B. in England kostengünstiger abgebaut werden. Auch in Deutschland wurde Coelestin in Obergembeck abgebaut.

Als Folge des Preisverfalls zogen sich die großen Gesellschaften recht schnell aus dem Geschäft zurück und schlossen ihre Tiefbauwerke. Kleine Unternehmen arbeiteten auf eigene Rechnung, schlossen sich teilweise zusammen und versuchten gewinnbringend zu arbeiten. Dies gelang aber nur wenigen und so setzte sich das „Grubensterben“ fort. Einen bescheidenen Aufschwung erlebte der Strontianit-Bergbau dann noch einmal im zweiten Weltkrieg. So wurde im Raume Drensteinfurt, bis zur Schließung der letzten Grube Wickensack im Januar 1945 Strontianit abgebaut. Danach wurde eine wirtschaftlich ausgerichtete Förderung nicht mehr aufgenommen.

Heute ist von den ehemaligen Anlagen, außer einigen versteckt und bereits stark bewachsenen Halden, nicht mehr viel zu sehen. Die Pingen, Schurflöcher und Gruben sind eingestürzt, abgesoffen oder verfüllt, und nur wenige ehemalige Tiefbaue werden zur Wassergewinnung genutzt.
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Die Fundmöglichkeiten

Da die damalige Aussortierung des geförderten Materials sehr sorgfältig vorgenommen wurde, gelangte auch nicht übermäßig viel Strontianit auf Halde. Mittlerweile sind fast alle Halden eingeebnet und die noch „höffigen“ Halden stark abgesucht worden. Ich (Kraul, s. o.) selbst habe in den 70er Jahren mehrmals die Halde der Grube Mathilde in Ascheberg besucht und habe damals recht schöne Stufen gefunden. Aber auch diese Halde ist heute fast nicht mehr vorhanden und ein Besuch, ausgerichtet auf das Mineralien sammeln, lohnt nicht mehr. Lediglich in den Steinbruchbetrieben der umliegenden Zementfabriken bei Beckum treten sporadisch einzelne Strontianitgänge zu Tage. Hier wurden in der Vergangenheit recht schöne Strontianit und Paragenese-Mineralien gefunden.

Genehmigungen zum Mineralien sammeln der jeweiligen Betreiber sind unerlässlich.
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Strontianit ( Wikipedia, 2013)

Etymologie (Wortforschung) und Geschichte
Erstmals entdeckt wurde Strontianit in der schottischen Ortschaft Strontian und beschrieben 1790 durch Friedrich Gabriel Sulzer (1749-1830), der das Mineral nach seiner Typ-Lokalität benannte.

Fundorte und Gewinnung
In Deutschland wurde Strontianit vor allem im südöstlichen Münsterland abgebaut. Zwischen 1874 und 1900 wurden hier ca. 650 Gruben betrieben, die sich im Gebiet östlich bis Oelde und Beckum-Neubeckum, südlich bis Hamm und Lippetal, westlich bis Nordkirchen und nördlich bis Münster, Telgte, Sendenhorst, Warendorf erstreckte. Als letzter Strontianit fördernder Betrieb stellte Grube Wickensack in Ascheberg im Januar 1945 die Förderung ein.

Im Raum Ahlen, insbesondere im Ortsteil Vorhelm (heute Vorort von Ahlen, dem Geburtsort von August Wibbelt) — sind etwa 20 Schächte mit bis zu 110 Meter Tiefe bekannt. Die Stadt Drensteinfurt war mit 180 Gruben der Hauptort des Strontianitabbaus. Viele Straßennamen, die Strontianit-Villa (Schmidt) und der Strontianit-Spielpfad erinnern an die kurze Bergbaugeschichte der Stadt. In der Davert bei Ascheberg und nördlich von Bockum-Hövel in der Bauernschaft Hölter wurde das Mineral ebenfalls abgebaut. Als Reste dieser Bergbautätigkeiten sind noch heute Mergelaufschüttungen zu sehen.

Neben seiner Typ-Lokalität Strontian in Schottland findet sich Strontianit unter anderem auch in verschiedenen Regionen in der Volksrepublik in Tongling City, China.


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Die Rechtsgrundlage für den Abbau

Strontianit war ein freies Mineral, das nicht unter das Preussische Berggesetz fiel. Daher musste der Eigentümer des Bodens, auf oder unter dem es gefunden wurde, keine Mutung beim zuständigen Bergamt beantragen; es war sein Eigentum. Wenn er das Mineral als Unternehmer selber abbauen wollte, hatte er natürlich das größte Interesse die Ausbeute abzuschätzen, um sein wirtschaftliches Risiko kalkulieren zu können. Dazu war er auf bergmännische Hilfe angewiesen. Wenn er das Abbaurecht, gleich ob im Tage- oder Untertagebergbau abgebaut werden sollte, verkaufen wollte, ließ er häufig ein Gutachten erstellen, welches oft den abbauwürdigen Vorrat an Strontianit günstig darstellte. Der potentielle Käufer versuchte durch ein Gegengutachten den Preis zu drücken.

Gleich ob der Eigentümer des Bodens selbst Bergbau auf Strontianit betrieb oder sein Recht auf Abbau verkauft hatte, in jedem Fall war für die sicherheitliche Aufsicht des Betriebes das Bergamt zuständig.
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Tagebau oder Tiefbau, Art, Form und Größe des Abbaus

Strontianitstufe im Heimatmuseum in Herbern

Die Lagerstätten mit dem Mineral – Strontianit waren Gänge, d. h., sie standen fast senkrecht, stark geneigt im Boden, waren einige Meter bis mehrere hundert Meter lang und einige Zentimeter bis einige zehn Zentimeter mächtig (dick). (Geologie s. o.).

Wenn die Gänge die nahe Erdoberfläche erreichten, grub der Bergmann ihnen nach, ähnlich wie der historische Kohlengräber an der Ruhr (Pingen, Pütt). Ein Abbau zur industriellen Gewinnung des „Strunz“ fand hauptsächlich im Tiefbau (in und um Drensteinfurt) statt. Die Schächte wurden mit Holzausbau gesichert, ebenso die Strecken untertage (Türstockausbau). Der Strontianit-Gang wurde zwischen den Sohlen und Örtern abgebaut.

Strontianit (und das begleitende Nebengestein) wurde weitestgehend in Handarbeit gewonnen: Bohren, Sprengen, Laden (s. o). Vom Jahre 1883 an flaute der große Strontianit-Boom ab.

Bild aus der Ausstellung im Heimatmuseum Herbern

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Die Verwendung von Strontianit in der Zuckerherstellung.

Die Chemie der Zuckermelassegewinnung

Das Strontianverfahren:
Zunächst wird SrCO3 in Sr(OH)2 überführt. Der Sr-Zucker-Komplex fällt in der Hitze als Disaccharat  aus und geht beim Abkühlen als Monosaccharat wieder in die Lösung. Um die reine Saccharose zu erhalten, fällt man das Strontium als Karbonat mit einem Überschuss an CO2 wieder aus. In einem ersten Schritt wird Strontiumcarbonat zu Strontiumoxid gebrannt. Im Gegensatz zu Calciumcarbonat reicht hierzu einfaches Erhitzen nicht aus, sondern zum Brennen muss man Wasserdampf und /oder Kohle hinzufügen. Das entstandene Kohlendioxid wird später benötigt.

Strontian reagiert mit Zucker zu schwerlöslichem Strontiumsaccharat, das abfiltriert werden kann. Mit Hilfe von Kohlendioxid (aus dem Brennprozess) wird aus Strontiumsaccharat wiederum Strontiumcarbonat gefällt.

Aus der verbliebenen Lösung wird durch Eindampfen reiner strontiumfreier Zucker gewonnen. Das Strontiumcarbonat kann wieder als Startmaterial in den Prozess eingebracht werden. Das Strontian-Verfahren ist ein Kreislauf, bei dem kein Strontium verbraucht wird. Von Strontiumsaccharat existieren zwei Formen: bei niedriger Temperatur entsteht das Monosaccharat, bei hoher Temperatur das Disaccharat.

Die Geschichte der Rübenzuckerherstellung

Melasse ist ein Restprodukt bei der Zuckerproduktion aus Zuckerrübe und besteht selber noch aus mehr als 50 % Zucker. Die französischen Chemiker Hippolyte Leplay und AugustinPierre Dubrunfaut entwickelten ein Verfahren, um aus der Melasse durch Reaktion von Bariumoxid mit Zucker schwerlösliche Bariumsaccharate abzuscheiden.

Im Jahr 1849 erweiterten sie ihr Patent auf Strontiumsalze. Es scheint bei diesem Patent nur um eine rechtliche Sicherung des Barytverfahrens zu gehen. In der Praxis hat das Strontianverfahren von Leplay und Dubrunfaut wahrscheinlich nicht funktioniert. Erst durch die Arbeiten von Carl Scheibler wurde das Strontianverfahren industriell anwendbar. Nach Scheibler muss das Strontianverfahren bei Siedehitze durchgeführt werden. Insbesondere in der Dessauer Zuckerraffinerie von Emil Fleischer kam das Verfahren zum Einsatz. Im Münsterland brach daraufhin ein regelrechtes „Goldfieber“ zur Gewinnung von Strontianit aus. Eine der größten Gruben bei Drensteinfurt wurde nach Dr. Reichardt, dem Direktor der Dessauer Zuckerraffinerie benannt. Ein weiterer Einsatzort des Strontianverfahrens war die Zuckerfabrik Rositz.

Zucker, Rohr- oder Rübenzucker war in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein wertvolles und teures Lebensmittel. Außerdem wurde vom Staat Preußen die Zuckersteuer erhoben. Basis der Besteuerung war die für die Zuckergewinnung eingesetzte Rübenmasse. So konnte durch den Einsatz von Strontianit in der Melasse bei gleichem Steuerbetrag mehr Zucker produziert werden.

Leider habe ich bis heute noch keine Information über Steuersatz und Verkaufspreis von Rübenzucker um 1870 gefunden.
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Die Dörfer, Bewohner und die Landschaft verändern sich

Durch das Auffinden, den Abbau und den gewinnbringenden Verkauf des Strontianit in der Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich das Leben im Münsterland zwischen Senden im Westen und Beckum im Osten nachhaltig. Innerhalb weniger Jahre wurde mancher Hofbesitzer zum Unternehmer, Arbeitgeber oder Grubenbetreiber. Die Zeit in der der Bauer im Herbst seine Erzeugnisse verkaufte, dann im November seine aufgelaufenen Schulden beglich und, wenn das Jahr eine gute Ernte gebracht hatte, auch noch ein Gewinn im Geldkasten klingelte, diese Zeit war nun vorbei. Manch ein Bauer verschuldete sich hoch bei den neu gegründeten Geldinstituten, wie Reiffeisenkassen und Volksbanken, um einen Tage- oder Tiefbau auf Strontianit zu gründen.

Andere verkauften ihre Abbauberechtigung an die Industrie, z. B. Zuckerraffinerien. Wenn sie gut verhandelt hatten, legten sie damit den Grundstein für den Reichtum späterer Generationen.

Mit der Bergbautätigkeit kamen, wie im Ruhrgebiet auch, fremde Bergarbeiter aus Mitteldeutschland, dem Saarland, aus England und Schottland in das vorher so ruhige und übersichtliche Münsterland. Die Balance im dörflichen Miteinander geriet aus dem Gleichgewicht: Jetzt waren fremde, meist junge Männer zusätzlich im Dorf, die ein anderes oder gar kein Gebetbuch hatten, Hochdeutsch oder einen unverständlichen Dialekt sprachen, die Dorf- und Schützenfeste besuchten und feiern und tanzen wollten, denen der Wochenlohn oft locker in der Tasche klimperte. Die weibliche Jugend sah sich durch sie umworben und damit erregten sie Ärger bei der männlichen Dorfjugend.


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De Strunz von Dr. phil. Augustin Wibbelt, katholischer Geistlicher und Lehrer, eine Leseprobe.

Textauszug aus De Strunz, Kap 14:

Allerlei Heimlichkeiten
…Agnes und Minna gängen dör dat Büsken, un Minna phantaseerde sick wat trächt von den Industrie, un wo riek se wäern können, wenn iähr Vader män der an wull. „Sieh mal da!“ Se quaimen gerade där den Haspel up‘n Kamp. „Da rechts ist die Grube, – ach meinee! Da ist zufällig auch der Obersteiger hier!“

Agnes keek sick den Mann met de langen Stieweln un den flotter Snurrbaort an un sagg:

„Der war vorhin in eurem Wäldchen.“

„Nein — wirklich? o, das glaube ich nicht.“ Minna glaihede äs ne Klapperrause. Der Obersteiger quamm wanners heran un begrüßede de Damen un explizeerde iähr alls un wasde Fröhlichkeit söwst…

Kap. 21: Baoll geiht‘t laoß!

Dat Liäben in Holldrup wor ümmer weheriger un rugger. De „Strunz-Käls“ verdeinden vieh Geld un laiten auk vieH drup gaohen; se trusselden män so met de blanken Dahlers harüm, wenn Löhnunk west was, un de Wien flaut von de Diske harunner.

„Eine Flasche vom Besten“, raip de „schöne Karl“ dann, „laß die Bauern das saure Bier saufen!“

De Roggen was riep, owwer de Buern können kine Lüde kriegen för de Arbeit un mössen er Lauhn giebben, dat Pucketrup sagg, de Sak de wär allmählick spansk.

Wer mehr über diese Zeiten wissen möchte, kann das bei Dr. Augustin Wibbelt nachlesen. In seiner Industrie- und Bauerngeschichte aus dem Münsterland, „De Strunz“, 3. Aufl., 1907 (Hurra, Schwefelkies oder Allerlei Heimlichkeiten) setzte er den Menschen im Münsterland ein Literaturdenkmal und bewahrte so auch vieles vor dem Vergessen. lnternetfunde\wibbelt.pdf
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Wieder erwachtes Interesse am Bergbau im Münsterland

Eine einfache schlüssige Erklärung für das größer werdende Interesse am Strontianit-Bergbau im Münsterland gibt es nicht. Die Heimatvereine im Münsterland haben vermutlich einen Teil von Tradition und Wissen bewahrt. Auf der anderen Seite sind nur noch wenige Abraumhalden oder gar Tagebaue erhalten. Viele sind verschwunden, in die Landschaft zurückgekehrt, durch Straßen überbaut und oft nur noch auf Karten erhalten(siehe Bild im Heimathaus Herbern).

Parallel zur Beendigung des Steinkohlenabbaus im Ruhrgebiet und der Zukunftsplanung zur Bewahrung wesentlicher lndustrie-Denkmale setzt auch eine Rückbesinnung im Münsterland ein. So schreibt schon 1974 der spätere Leiter des Bergamtes Hamm Bergdirektor Friedrich Menneking über diesen Bergbau im Münsterland. Größere Beachtung, auch durch die Veröffentlichungen in der Tagespresse und im Internet, findet die Arbeit des pensionierten Gymnasiallehrers Dr. Martin Börnchen (Biologie und Chemie), der am Galileo-Gymnasium (Bockum-Hövel in Hamm) unterrichtete und ein Projekt „Strontianit“ leitete. Er weitete seine Arbeit aus, so u. a. an der Wilhelm-Universität-Münster, der Freien Universität Berlin, der TU Dortmund und bei den Heimatvereinen der „betroffenen Orte“, z. B. Herbern durch Ausstellungen, Vorträge und Exkursionen.
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Was heute noch vom Strontianit-Bergbau vorhanden ist

Es gibt einige Straßen, die Strontianit oder Bergbaubegriffe im Namen führen, daneben Abraumhalden, die oft so klein oder schlecht zugänglich sind, daß sie nur als Radfahrer oder Fußgänger, teilweise auch nur über private Grundstücke erreichbar sind.

In jedem Fall ist es ratsam, z. B. mit einer hochauflösenden Karte mit UTM-Gitter und genauen Ortsangaben die Entdeckungsreise zu beginnen. Mit einem mobilen GPS-Gerät und der Eingabemöglichkeit und Anzeige der entsprechenden Koordinaten ist dann ein punktgenaues Auffinden möglich.

Hilfreich, aber auch zeitaufwändig ist das Computerprogramm „google earth“ bei der Suche nach Fundstellen. Bei niedriger Flughöhe lassen sich bei geografischer Kenntnis der Abbauorte an der unterschiedlichen Färbung der Vegetation mögliche Strukturen früherer Abbaue entdecken. In dem  Programm kann man das UTM-Gitter einblenden und die Koordinaten ablesen.

Das Auto taugt nur für die Anfahrt zu einem Ziel, nicht für eine Entdeckerrundfahrt.

Für Wagemutige wird ein Rundflug im Ultraleichtflugzeug, beginnend vom Flugplatz Drensteinfurt, angeboten unter: \Internetfunde\flyer strontianitrundflug.pdf (Stand 2013).

Gut vorbereitet, sind der Entdeckerfreude im Münsterland im Strontianit-Gangrevier keine Grenzen gesetzt.
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Bilder zu den eigenen Erkundungen im August und September 2012

1. Mit dem Fahrrad von Bodelschwingh über Werne nach Walstedde (Drensteinfurt) und über Mersch zurück nach Haus.

 

2. Am Herrenstein (nördlich von Hamm) muss doch was zu finden sein.

Hamm-Heesen, B 63, Herrenstein (Str.), L 518, bei Dorfbauerschaft, Friggemann-Gartentechnik, ehem. Schürfstelle.

 

 


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Ein persönliches Nachwort, meine Liebe zum Münsterland

Das südöstliche Münsterland war mir im Laufe der Jahrzehnte unbekannt geworden…

Mit 13 Jahren sind Hans-Joachim Strotmann und ich mit Werner Pradel (20), seinem Schwager, in 2 1/2 Stunden mit dem Fahrrad nach Münster gefahren (60 km) und haben vor Ehrgeiz, dem „Großen“ wegzufahren, kaum etwas gesehen.

Wenn man alt geworden ist, fällt einem so manches wieder ein:

Im Alter von ca. 35 Jahren machte meine Frau und ich einen Ausflug in das Münsterland mit unserer kath. Gemeinde. Zum Kaffee kehrten wir, von Lüdinghausen kommend, in Ottmarsbocholt in eine Gaststätte mit einem großen Festsaal ein. Ich kann mich erinnern, dass ich damals dachte: „Wofür brauchen die hier so einen großen Saal?“ In Ottmarsbocholt wohnte doch kaum jemand. Aber um 1870 waren hier etwa 500 Bergarbeiter beschäftigt; vielleicht eine Erklärung für den großen Saal, ähnlich wie bei uns in Bodelschwingh mit dem großen und kleinen Bergmann-Saal.

Mit 40 Jahren, auf einer Dienstfahrt zur Zeche Westfalen in Ahlen waren große Kalkhügel (Mergel, Kalkspat und Kalksande) auf den Feldern zu sehen.

Ich hoffe, bei Ihnen und bei Euch das Interesse für Erkundungsfahrten mit dem Auto und Fahrrad und „per Pedes“ geweckt zu haben. Ein Tag oder Nachmittag im Strontiantit-Münsterland, mit Aufgeregtheit und Entdeckerfreude, dem Mut zur Langsamkeit, dem Licht über dem Tageskreis, der Weite der Landschaft, das wünsche ich Ihnen, Euch und mir.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.

Ihr und Euer Otto Schmidt

Strontianit-Bergbau im Münsterland, Vortrag im Heimatverein mengede e. V., 14.Mai 2013